Tontechnik-Knigge

  • Sei ununterbrochen aufmerksam
  • Zeige Interesse – und habe Interesse
  • Höre aktiv und bewusst
  • Halte Blickkontakt
  • Handy weg!
  • Handy weg!
  • Handy weg!
  • Strahle Ruhe und Entspanntheit aus
  • Keine Angst vor der Bühne
  • Gib ehrliches Lob und nenne Negatives nur auf Anfrage
  • Handy weg! ;-)

Hä? Tontechnik-Knigge? In welchem Jahrhundert leben wir denn!?

„Über den Umgang mit Menschen“ hieß das Buch, das Adolph Freiherr Knigge 1788 erscheinen ließ. Es behandelte nicht einfach nur eine Liste von Benimmregeln, die sklavisch eingehalten werden mussten. Geprägt vom Geist der Aufklärung wollte Knigge das tiefe Verständnis dafür vermitteln, wie Menschen miteinander ungehen sollten und warum so und nicht anders. Nichts weniger beabsichtige ich, wenn ich hier einfache Hinweise gebe, wie Tontechnikerinnen und Tontechniker mit ihrer Klientel auf der Bühne umgehen sollten, um Vertrauen zu schaffen, Vertrauen, das für eine gelungene Veranstaltung wichtiger ist, als man denkt.

Alle folgenden Punkte kann man übrigens herunterbrechen auf zwei Stichworte: Konzentration und Respekt.

Aufmerksamkeit

Deine Aufmerksamkeit ist das A und O deiner Arbeit. Ohne ununterbrochene Aufmerksamkeit wirst du die akustische Situation nicht im Griff haben. Nur, wenn du ganz bei der Sache bist, wirst du schneller reagieren können, als sich eine Rückkopplung anbahnt, wirst du Probleme erkennen, die dir die Aktuere auf der Bühne mitzuteilen versuchen, wirst du überhaupt bemerken, wenn es scheiße klingt.

Sehr wichtig ist hierbei das Wort „ununterbrochen“, denn in jedem Moment kann sich die Situation ändern. Ein typisches Beispiel hierfür findest du unter „Blickkontakt“ (s.u.). Wenn du in solch einem Moment pennst, hast du verloren.

Über den Umgang mit Menschen in der Tontechnik: Knigge-Titelbild von 1788

Interesse zeigen

Stell dir vor, du stehst auf der Bühne, und die Herren und Damen der Technik schlafen beinahe auf ihren Stühlen ein. Oder schlimmer noch: sie tuscheln und machen sich lustig über dich (alles schon erlebt). Das ist die Hölle. Ich möchte hier deutlich machen, dass Künstlerinnen und Künstler keine Maschinen sind, die einfach ihr Programm abspulen. Sie sind abhängig vom Wohlwollen und Interesse des Publikums, und je fröhlicher dieses ist, desto besser wird die Performance werden. Du als FOHler schaust in dieselbe Richtung wie das Publikum, daher gehörst du dazu! Also unterstütze die Akteure vorne durch dein Interesse. Halte den Blickkontakt (s.u.), lächel sie an, lache an lustigen Stellen, wippe mit dem Kopf im Takt der Musik (auch wenn es dir schwerfällt). Und wenn es mal nicht so gut läuft, dann mache all das doppelt so stark. Interesse vom FOH aus wird die Person(en) auf der Bühne in jedem Falle aufmuntern, sodass sie vielleicht doch noch dazu kommen zu zeigen, was sie eigentlich können.

Wichtiger noch, als Interesse zu zeigen, ist, dieses Interesse auch zu haben. Nicht jede Show wird dir gefallen. Nicht jeder Musikstil wird dir zusagen und dein Humor mag auch ein anderer sein als der, der sich von der Bühne ergießt. Dennoch solltest du ein Mindestmaß an Interesse und Respekt für die kulturellen Darbietungen aufbringen, die du betreust. Wenn du das nicht kannst, bist du am falschen Arbeitsplatz!

Aktives Hören

Dieser Punkt beschreibt etwas, was man wirklich lernen muss. Das aktive Hören ist wohl niemandem einfach so gegeben. Möglichst oft in einer Veranstaltung solltest du dich fragen: Klingt das überhaupt gut? Ist das Keyboard präsent? Versteht man den Text? War da nicht gerade eben noch eine zweite Gesangsstimme? Besonders, wenn eine Veranstaltung auch dich wirklich begeistert, musst du aufpassen, dass dir ihr Inhalt nicht wichtiger wird als ihr Klang. Du bist für den guten Ton verantwortlich, vergiss das nicht. Und daher ist es deine Aufgabe, nicht innerlich abzudriften, sondern die Klang-Qualität immer wieder bewusst (!) zu überprüfen.

Aber bemerkt man denn einen Missklang nicht auch so? Ganz automatisch? Ja, ein geschultes Gehör mag in der Lage sein, seinem Besitzer in die Seite zu pieksen, sodass er automatisch bemerkt, wenn etwas fehlt oder zu viel ist. Doch das menschliche Gehör hat – leider und Gott sei Dank – die erstaunliche Fähigkeit, sich an akustische Gegebenheiten anzpassen. Für das Publikum mag diese Tatsache erlösend sein, wenn es mal nicht so gut klingt: Viele Mängel, die beim ersten Hören deutlich auffallen, kann das Ohr nach ein paar Minuten einfach wegrechnen oder ignorieren. Wer nur lang genug einer Klangsituation ausgesetzt ist, wird die akustischen Besonderheiten (gute wie schlechte) bald nicht mehr bewusst wahrnehmen. Das Gehör konzentriert sich von Natur aus gern auf den Inhalt eines Schallereignisses, nicht auf dessen Qualität. Wie gesagt: Für das Publikum kann das erlösend sein. Für die Person am Mischpult aber ist sie sehr hinderlich. Es ist ein langer Weg, bis man Klang über eine gesamte Konzertdauer hinweg objektiv beurteilen kann. Das muss man lernen. Wie? Durch aktives Hören, bewusstes Hören. Mache dir stets klar, was gerade alles zusammenklingt. Frage dich stets, wie es denn klingen sollte und was dazu noch fehlt. Höre aktiv und bewusst und konzentriert. Das kannst du auch dann tun, wenn du mal ein Konzert als Publikum besuchst. Das ist zwar anstrengend, wirklich sehr, doch es ist äußerst lehrreich.

Und noch dies, speziell für Kirchengemeinde-Technik-Teams: Für das aktive Hören ist es nicht förderlich, wenn du die Lieder selbst mitsingst. Auch wenn es dir fehlt: Am Mischpult solltest du darauf verzichten. Am Mischpult solltest du nur hören und regeln. Am Mischpult bist du Dienstleister und musst dich konzentrieren. Ich selber suche mir nach Möglichkeit sogar immer einen Ort für mein Pult, an dem keine Singenden direkt um mich herum sein werden. Auch das hilft dem aktiven Hören.

Blickkontakt

So oft es Deine Arbeit am Mischpult zulässt, halte Blickkontakt mit den Leuten auf der Bühne. So signalisierst Du ihnen deine Aufmekrsamkeit. Das ist sehr wichtig, denn es gibt ihnen das Vertrauen in dich und die Sicherheit, sich ganz auf ihre Performance zu konzentrieren. Kaum etwas ist schlimmer, als von vorne sehen zu müssen, wie sich der Tontechniker gerade versonnen eine Kippe dreht.

Möglichst durchgängig solltest du die Bühne beobachten, um dem Geschehen dort vorne immer einen Schritt voraus zu sein und die Finger an den richtigen Reglern zu haben. Immer wieder vorkommendes Beispiel: Eine neue Sprecherin betritt die Bühne und greift zu einem nicht verabredeten Mikro. Wenn du aufmerksam und konzentriert bist, kannst du das im Ansatz erkennen. Noch bevor die Dame das Mikro übehaupt erreicht, hast du so die Finger am entsprechenden Regler. Das kann entscheidend sein, den Kanal früh genug hochzuziehen. Wenn du stattdessen aber gerade dein Toolcase aufräumst, dann wirst du das alles erst bemerken, wenn das Publikum sich zu dir umdreht (schon so oft habe ich das beobachten müssen).

Handy weg!

Der heutzutage wohl wichtigte Punkt lässt sich sehr knapp abhandeln: Wer während einer Veranstaltung oder eines Soundchecks am Smartphone daddelt, handelt respektlos und vermittelt das genaue Gegenteil von „vertraut mir“. Muss ich das hier überhaupt anmerken? Nach meiner Erfahrung leider ja :-(

Ruhe ausstrahlen

Oft sagt man mir, dass es gut sei, wie viel Ruhe ich bei der Arbeit ausstrahle. Ich verstehe das dann immer nicht so ganz, denn innerlich bin ich oft genug kurz davor zu platzen. Offensichtlich aber gelangt diese Aufgeregtheit bei mir nicht nach außen, was für alle Beteiligten sehr gut ist. Denn wenn der Tonie nervös wird, wird auch die Band nervös. Also: auch, wenn es dir nicht leichtfällt: Arbeite daran, Ruhe auszustrahlen. Haste nicht über die Bühne, sprich mit Bedacht und mach auch mal nen lässigen Spruch (Humor vermittelt Unaufgeregtheit). Das hat nichts damit zu tun, den anderen etwas vorzumachen. Aber eine entspannte Person entspannt auch die Situation, und wenn du dich bei allem Druck zur Ruhe zwingst, wirst du auch ruhiger werden und übelegter handeln.

Keine Angst vor der Bühne

Als Techniker oder Technikerin gehörst du nicht auf die Bühne. Dennoch solltest du keine Angst davor haben, sie zu betreten, wenn es nötig ist – und das wird immer mal wieder vorkommen, auch während einer Veranstaltung. Es gibt Situationen, in denen nur du handeln musst, um ein Problem zu lösen. Beispiel: Der argentinische Blues-Rock-Gitarrist Javier Vargas schaut mich mitten im Song aufgeregt an und deutet mehrfach auf seine Bodentreter. Ich erkenne, dass das Steckernetzteil seines Effekt-Boards immer wieder aus der ungeeigneten Steckdosenleiste herausspringt. Also greife ich in meine Kabelkiste, gehe nach vorne und bastel direkt neben ihm an seiner Technik rum, vor den Augen des Publikums und während er sein Solo beginnt. Zwar war dies sein persönlicher Technikbereich, aber er selbst hätte mit der Gitarre in der Hand nichts machen können, nicht ohne den Song abzubrechen.

Der Techniker auf der Bühne ist natürlich nie gut für die Show, es sei denn, er löst dort wichtige Probleme. Es ist immer wieder ein genaues Abwägen, ob ein Eingreifen mehr stört oder mehr hilft. Manchmal kann man eine kurze Zeit warten, bis eine Stelle im Programm besser für einen Eingriff geeignet ist. Grundsätzlich aber gilt: Hab keine Angst, auf der Bühne Probleme zu lösen. Die fragenden Blicke des Publikums musst du ertragen und deine Arbeit machen. Und wenn es dir gelingt, alles zu richten, hast du den Respekt aller Anwesenden. Und wenn nicht, dann auch, und niemand wird dich für einen Rettungsversuch verachten. Wenn du dagegen völlig untätig bleibst, weil du zu schüchtern bist, schon eher ...

Lob und Tadel

Als Techniker habe ich mir angewöhnt, nach der Show meine Meinung dazu zu sagen. Naja, nicht immer, aber sehr oft gehe ich anschließend auf die Bühne und sage beim Aufräumen den Künstlern und Künstlerinnen, was mir gut gefallen hat. Ja, nur, was mir gut gefallen hat. Das Negative behalte ich für mich, es sei denn ich werde nach meiner „ehrlichen Auffassung“ gefragt. Nach meiner Erfahrung wird negative Kritik nur dann konstruktiv aufgenommen, wenn sie erfragt wird. Unaufgefordert wird sie dagegen schnell als überheblich und anmaßend empfunden. Doch tatsächlich wird sehr oft nach ein paar positiven Worten auch nach der negativen Kritik gefragt, manchmal klar und deutlich („War der Song xy nicht viel zu langsam?“) und manchmal vorsichtig, aber offen („Und wie kam das Duett so rüber?“).

Ich möchte Menschen ermutigen. Meine Absicht ist es, ihnen ihre Stärken vor Augen zu halten und ihnen Freude auf den nächsten Gig zu bereiten. Das mag nicht immer nötig sein, doch auch Profis freuen sich über positive Rückmeldungen. Wenn du magst, dann benenne einfach diejenigen Dinge sehr konkret, die wirklich gut waren. Es wird kaum mal eine Veranstaltung geben, nach der dir partout nichts Positives einfallen will. Wenn der Sänger schief gesungen hat, dann lobe seine Bühnenpräsens. Wenn der Trommler den Takt nicht halten konnte, dann sprich sein geil gestimmtes Drumset an. Aber bitte: nur dann, wenn du voll und ganz hinter dem Lob stehst. Aber irgendetwas findet sich fast immer. Und deinem Gegenüber wird es sicher helfen :-)

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